Projekte
#TAKEOVER
Unter dem Hashtag #takeover wollen wir Euch Kurzvorträge verschiedener Dozent:innen vorstellen, welche in postkoloniale, feministische und befreiungstheologische Ansätze einführen.
Wir freuen uns sehr über die Zusammenarbeit und vor allem darüber, dass der Wunsch nach einer Veränderung der bisherigen Lehre nicht nur auf studentischer Seite liegt!
>>Hagar und Sara in Gal 4,21-31 wurden in der Vergangenheit zu oft als Repräsentantinnen der illegitimen Synagoge im Gegensatz zur legitimen Kirche verstanden. Dieser christlich-triumphal konnotierten Deutung der einflussreichen Allegorie stelle ich eine andere Interpretation entgegen, in der die Ägypterin Hagar als beschnittene Frau identifiziert wird und als solche in der Allegorie das Szenario der beschnittenen christlichen Proselytengemeinde in Galatien repräsentiert. Sara als Unbeschnittene Freie repräsentiert dagegen die galatische Gemeinde, die Paulus vorschwebt. Paulus möchte mit dem Galaterbrief das Proselytenbeschneidungsszenario verhindern. Die galatischen Christusgläubigen sollen sich nicht wie Hagar beschneiden lassen, um das Heil in Christus zu erlangen. Dieser Auflage zum Proselytismus zuzustimmen, würde für Paulus bedeuten, die Freiheit des Heils aufzugeben, die in Christus sowohl jüdische als auch pagane Menschen gleichermaßen direkt erlangen, sowie Freie und Sklaven, Männer und Frauen (Gal 3,25-29).<<
>>Dass ausgerechnet Frauen das männliche Beschneidungsszenario versinnbildlichen, liegt an der traditionell weiblichen Chiffrierung der gläubigen Gemeinde. Hagar und Sara werden deswegen beide in der Allegorie als „Jerusalem“ bezeichnet (vgl. ferner derartigen Gendershift z.B. in Jes 66,13; Mt 23,27 und Epiphanius Panarion 49.3.1).
Nach Genesis 16 ist Hagar die ägyptische Sklavin von Abrahams Frau, Sara. Dass die Hörer:innen im 1. Jh. n. Chr. Ägypterinnen generell als Beschnittene wahrnahmen, zeigen Philo (Quaestiones in Genesim 3,47) und Strabo (17.2.5). Ferner veranschaulicht dies ein Papyrus aus dem Alltag in Memphis von 163 v. Chr., in welchem eine junge Frau „der Sitte nach“ sich vor der Hochzeit beschneiden lassen will.<<
>>Überwunden wird mit dieser neuen Deutung der Triumphalismus der Kirche über die Synagoge sowie die Dichotomie des Judentums als Gesetzesreligion und des Christentums als freier Gnadenreligion. Wie bereits die New Perspective on Paul zeigte, basiert das Gnadenelement christlicher Theologie auf dem Judentum als ebensolcher Gnadenreligion. Nicht überwunden mit dieser Deutung hingegen ist die negative Rolle Hagars, die in der Allegorie als diskriminierte und an ihren Genitalien verstümmelte Fremde als abschreckendes Beispiel fungiert. Die Allegorie ist zwar von ihrer antijüdischen Tendenz befreit, jedoch bleibt festzuhalten, dass Paulus mit diskriminierenden Kategorien arbeitet, um sein rhetorisches Ziel zu erreichen.<<
>>Hagar bleibt eine hermeneutische Herausforderung für die Suche nach Gerechtigkeit und den Kampf gegen Diskriminierung.<<
#KURZGESAGT
Postkoloniale Theologie wendet eine postkoloniale Analyse auf die westliche Theologie an.
Postkoloniale Analyse deckt die politischen, ökonomischen und kulturellen Machtstrukturen auf, die durch den Kolonialismus entstanden sind und bis heute wirken.
Sie kann so also als Werkzeug für alle Disziplinen und auch Institutionen oder soziale Strukturen angewandt werden.
Zeitlich kann der Begriff "post-kolonial" verwendet werden, einerseits um die Zeit nach,
andererseits um die gesamte Zeit seit Beginn der Kolonisierung zu bezeichnen.
"Postkolonial" bezeichnete ursprünglich eine
kreative Literaturform, die sich gegen koloniale Literatur richtet, während heute damit eine
Widerstandsform und Erinnerungskulturverstanden wird
Mimikry bezeichnet die partielle Angleichung des Kolonisierten an den Kolonisierenden: „almost the same but not quite almost the same but not white“
Mimikry als Gefahr für Kolonialherren, weil:
wenn sich die Kolonisierten zu sehr angleichen, gerät die koloniale Autorität ins Wanken und das Konzept stabiler, fester und überlegener Identitäten als illusorisch entlarvt wird.
#THEOLOGIETEILEN
In Deutschland ist der Konsens der bekannten Theologen (hier muss man nicht mal gendern) noch immer:
Alte (tote) weiße Männer.
Die Welt hat mehr zu bieten: wir stellen Euch Theolog:innen vor, die sich kritisch mit Rassismus und Postkolonialer Theorie auseinandersetzen – mitsamt ihrer Biographie, Theologie, ihrem Werk und der Rezeption. Es geht um #TheologieTeilen.
Rasiah S. Sugirtharajah ist Professor Emeritus für biblische Hermeneutik der University of Birmingham. Er ist in Sri Lanka geboren und studierte und promovierte am United Theological College in Bangalore und an der University of Birmingham. 2009 wurde zu seinen Ehren das Buch „Postcolonial Interventions: Essays in Honour of R.S. Sugirtharajah“ von Tat-Siong Benny Liew veröffentlicht.
Er betreibt u.a. Exegese aus postkolonialer Sicht. So zeigt er an Mt. 28,19, dem vermeintlichen „Missionsbefehl“, dass sich durch Quellenkritik feststellen lässt, dass in der Alten Kirche die Thematik Bekehrung oder Mission kaum gefunden werden kann, das gleiche gilt für die reformatorische Zeit. Denn die Begriffe werden wenig theologisch reflektiert und die Reformatoren verstehen nur die Apostel zur weltweiten Verbreitung des Christentums verpflichtet.
1991 erschien ein von ihm veröffentlichter Sammelband „Voices from the margin. Interpreting the Bibel in the Third World“, in dem 37 postkoloniale Exeget:innen schreiben. Im Vorwort schreibt Sugirtharajah, minority hermeneutics müssen ihre historische Partikularität ernst nehmen und haben einen doppelten ethischen Anspruch: „telling truth to power and telling the powerless the truth about power“. Die Notwendigkeit einer kontextgebundenen Exegese wird immer wieder deutlich, z.B. in Kapitel drei, das zeigt, dass die Exodus-Erzählung aus lateinamerikanischer Sicht Grundlage der Befreiungstheologie wurde, aber für Native Americans kein befreiendes Potential hat und diese sich vielmehr mit den vertriebenen Kanaanäer:innen identifizieren.
Damit gilt Sugirtharajah als einer der Wegbereiter:innen der postkolonialen Bibelkritik. Sein Ansatz (stützend auf unterschiedliche Bereiche: Linguistik, Literarwissenschaft, Kulturwissenschaft, Marxismus, Poststrukturalismus) und er sind Vorbild für unzählige Theolog:innen, u.a. Fernando F. Segovia, mit welchem er einen postkolonialen Kommentar zu den Büchern des Neuen Testaments (A Postcolonial Commentary on the New Testaments Writings) veröffentlichte.1 Wo.
Kwok Pui-Lan ist feministische Theologin mit den Schwerpunkten Postkoloniale Theologie und biblische Hermeneutik. 1989 erhielt sie ihren Doktortitel für die Arbeit “Chinese Women and Christianity”. Im Jahr 2011 wurde sie zur Präsidentin der American Acadamy of Religion gewählt. In dieser Position möchte sie die Präsenz asiatischer Frauen in Theologie und der akademischen Welt sichtbarer machen.
Mit der Kolonisierung wurde asiatischen Ländern ein fremdes Bild aufgezwungen: die Kolonisierenden und ihre Kultur werden als überlegen, aktiv und männlich dargestellt, während die Kolonisierten als rückschrittig, passiv und weiblich qualifiziert werden. Am Kolonialismus und seinen Auswirkungen in der Gegenwart setzt sie postkoloniale Theologie und feministische Theologie kritisch an.
Kwok Piu-Lan möchte herausstellen, wie kulturelle Identität durch Geschichte, Kultur und Macht konstruiert wird. Somit könne u.a. in den Narrativen der Vergangenheit die Setzung der Identität verstanden werden. Denn bisher sind asiatische Frauen weder vermeintlich authentisch asiatisch noch westlich genug. Dieses Dazwischensein bietet neue Möglichkeiten, Identität und kulturelle Hybridität zu verhandeln.
Ihr wohl bekanntesten Werk ist "Postcolonial Imagination and Feminist Theology" (2005). Es ist die erste umfassende theologische Abhandlung darüber, was es bedeutet, postkoloniale feministische Theologie zu betreiben. Sie richtet den Fokus auf das Offenlegen von epistemologischen Machtstrukturen in der Theologie. Hierzu verbindet sie feministische und postkoloniale Theologie und fasst ihren Ansatz unter der Trias "historisch, dialogisch und diasporisch" zusammen.Danach stellt sie eine gezielte postkoloniale feministische Neuinterpretation von Geschlecht dar, insbesondere in Bezug auf die Christologie, die hier als radikal hybrid konzipiert wird.
Kwok Pui-Lan schreibt selbst einen Blog und ist bei YouTube vielfach zu finden.
Kelly Brown Douglas wurde in Ohio, Dayton geboren. Sie studierte Psychologie und Theologie beendete ihre Studien 1982. Im Jahr 1983 wurde sie ordiniert und 1988 im Fach Systematik promoviert.
Kelly Brown Douglas erhielt 1987 eine außerordentliche Professur an der Howard University School of Divinity, in Washington, welche sie 14 Jahre ausübte. Aus dieser Zeit stammen ihre bekanntesten Werke:
- Black Christ (1994)
- Sexuality and the Black Church (1998)
Seit September 2017 ist sie Dekanin an der Episcopal Divinity School am Union Theological Seminary und hat hier eine Professur der Theologie inne. Ihr jüngstes veröffentlichtes Werk „Stand Your Ground: Black Bodies and the Justice of God“ ist aus dem Jahr 2015.
Kelly Brown Douglas gilt aufgrund ihrer Publikationen, aber auch wegen ihrer langen Arbeit im Pfarramt als wichtige Vertreterin Womanistischer Theologie und Black Theology. Heute wird vor allem Kelly Brown Douglas rassismuskritische Arbeit rezipiert. Ihrer Ansicht nach stellt White Supremacy eines der größten Probleme in den USA und weltweit dar, welches auch von Glaubensgemeinschaften angegangen werden muss. Das Ziel sei es, an der Schaffung Gottes gerechter Zukunft beteiligt zu sein.
In der jüngsten Vergangenheit äußerte sich Brown Douglas immer wieder kritisch zu Präsident Trumps entmenschlichenden Worten zu und über BIPOC’s. Der Artikel “Have We No Decency? A Response to President Trump” in der Washington National Cathedral wurde vielfach aufgegriffen. Sie diskutierte z.B. mit CNN Tonight Moderator Don Lemon über den Artikel und Präsident Trumps rassistische Rhetorik.
Kelly Brown Douglas ist auch auf Twitter zu finden. Unter @DeanKBD veröffentlicht sie regelmäßig Tweets zum Thema Black Theology, Rassismus und Gerechtigkeit. Außerdem sind viele Predigten von ihr online abrufbar.
Muriel Orevillo-Montenegro wurde 1954 auf den Philippinen geboren. Von ihrer Geburt an wurde sie mit der Ungerechtigkeit und Marginalisierung der Bevölkerungsgruppe der Filipinos konfrontiert, die seit der Kolonialzeit anhaltend strukturell unterdrückt und entmündigt wurde. Nach ihrem Abschluss in Religionspädagogik und Tierzucht 1979 arbeitete sie als Gemeindepädagogin für eine protestantische Kirche und ab 1994 begann sie an der Divinity School der Silliman Universität zu lehren. Sie vertiefte ihre Beschäftigung mit Theologie im Rahmen eines Auslandsstudiums am Union Theological Seminary in New York, welches sie 2003 mit einer Dissertation abschloss.
Orevillo-Montenegro lehrt Theologie und Religionswissenschaften an der Divinity School der Universität von Silliman. Sie hat als erste Frau das Amt der Dekanin der Divinity School inne.Prof. Dr. Muriel Orevillo-Montenegro engagiert sich außerdem in der Association of Women in Theology (AWIT), die sich für Frauen in Theologie und Kirche auf den Philippinen einsetzt. Frauen sollen ihre Begabungen erkennen und aktiv nutzen, um einen Unterschied in der Kirche und darüber hinaus zu machen.
In ihrem Buch “The Jesus of Asian Women” befasst Orevillo-Montenegro sich mit dem Umstand, dass das Christentum – eigentlich ein Produkt asiatischen Nachdenkens – den Weg auf die Philippinen als Exportprodukt der Kolonialherrscher gefunden hat und damit als Werkzeug für Unterdrückung und Rechtfertigung für eine Abwertung der philippinischen Tradition missbraucht wurde. Sie will eine Christologie entwickeln, die die Figur des Jesus von Nazareth als Christus ernst nimmt und ihn und seine Botschaft im Kontext des von den Kolonialmächten ausgebeuteten Landes der Philippinen und der Situation der weiblichen Filipinos fruchtbar machen. Dafür referiert sie Christologieentwürfe aus verschiedenen asiatischen Kontexten und lässt diesen einen eigenen Entwurf folgen.
Leonardo Boff wurde 1938 im Süden Brasiliens geboren. 1959 trat er dem Franziskanerorden bei und empfing 1964 die Priesterweihe. Er ist katholischer Theologe und hatte 1970-1991 den Systematiklehrstuhl in Petrópolis an der Franziskaneruniversität inne. Seit 1992 lehrt er Ethik und Spiritualität an der Staatsuniversität in Rio de Janeiro.
Schon früh begann Boff, sich mit der sozialen Ungerechtigkeit, die er in seinem Land erfuhr und der Rolle der Kirche darin auseinanderzusetzen.
Boffs Theologie ist geprägt von den franziskanischen Grundideen der geschwisterlichen Nähe zu den Armen und zur gesamten Schöpfung, verbunden mit marxistischen Untertönen. Sie sind bis heute Leitgedanken, die sich durch sein ganzes theologisches Nachdenken ziehen. Er warb für eine Abwendung der Kirche von den Allianzen mit der herrschenden Klasse, hin zur Option für die Armen und Ausgegrenzten. Diese beinhaltet für ihn auch ökologische Themen. Er setzt sich stark für Klima- und Umweltschutz ein.
Auch ökumenisch ist Boff hoch engagiert. Er widerspricht dem Anspruch der Katholischen Kirche, dass nur sie die Kirche Jesu Christi darstelle und betrachtet das Christentum als gleichwertige Religion neben allen anderen. Nachdem Boff lange von seiner Kirche bekämpft worden war, rehabilitierte Papst Franziskus die Befreiungstheologie und ihre Denker_innen.
Boff ist Autor von über 60 Büchern in den Bereichen Theologie, Spiritualität, Philosophie, Anthropologie und Mystik. Die meisten seiner Werke wurden in die wichtigsten modernen Sprachen übersetzt.
Delores Seneva Williams ist eine afrikanisch-amerikanische feministische Theologin und Universitätsprofessorin, die geprägt durch eigene gesellschaftliche und religiöse Erfahrungen in den US-amerikanischen Südstaaten, in ihren theologischen Arbeiten Fragen nach race, class und gender in den Fokus rückt.
Sie ist dabei beeinflusst von schwarzer Theologie vor ihr, kritisiert aber deren männlichen Blick. Dem entgegen arbeitet sie an einer womanistischen Theologie, die die Erfahrungen des Lebens und Überlebens „gewöhnlicher“ schwarzer Frauen zentral stellt. Sie bezieht dabei Erkenntnisse anderer Wissenschaften ebenso mit ein, wie literarische Erzeugnisse und mündlich tradierte schwarze Kultur.
Williams entwirft in - Sisters in the Wilderness. The Challenge of Womanist God-Talk - einen eigenen bibelhermeneutischen Zugang zur Situation schwarzer Frauen, indem sie diese mit der der Sklavin Hagar in der Erzelternerzählung vergleicht. Hierbei wird die wilderness, die Wildnis, zum zentralen Ort der Gotteserfahrung.
Ihre theologischen Impulse werden aufgenommen in der schwarzen, feministischen und womanistischen Theologie. Im deutschsprachigen Kontext setzt sich insbesondere die evangelische Theologin Eske Wollrad intensiv mit ihr auseinander und bringt Williams‘ Theologie hermeneutisch umsichtig – unter Ablehnung von Exotisierung ebenso wie mit Respekt vor der Differenz – mit weißer feministischer Theologie ins Gespräch.